Diese Geschichte soll kein Märchen sein. Auch soll sie kein Lied auf die Liebe oder großen Heldenmut sein. Viel mehr ist diese Geschichte ein Mahnmal dafür, dass manche mehr und manche weitaus weniger bekommen, als das, was ihnen zustünde.
Der Held unserer Geschichte ist ein kleiner tapferer Ritter, dessen Herz jedoch so groß war, dass es gut einem Riesen zu Gesicht gestanden hätte. Er selbst hatte einen Namen, doch die wenigstens von uns hätten ihn aussprechen können. Doch er war bekannt unter dem Namen Aglai – Sir Aglai, vom Orden der vier Pfoten, Tapferer Recke der sechs Häuserblocks.
Ihr fragt euch jetzt sicher, ob ich euch mit dieser Aussage veräppeln möchte. Doch ihr müsst wissen, dass Aglai ein Kater gewesen ist, der dereinst ausgezogen war, um das Böse in all seinen Formen und Gestalten zu bekämpfen. Viele Schlachten hatte der tapfere kleine Ritter bezwungen und sein Körper war davon gezeichnet: Ihm fehlte ein Auge, ein Ohr war schon halb abgerissen und seine linke Vorderpfote war einmal gebrochen worden und in der Folge schlecht zusammen gewachsen.
All das hätte weitaus geringere Ritter dazu bewogen, aufzugeben. Doch so nicht Aglai. Denn Aglai war tapfer und hätte noch gefochten, wenn sein Leben dabei ein Ende gefunden hätte.
Nach Jahren der Reise war Aglai in einer Gegend angekommen, die von seltsamen Riesen bewohnt wurde. Diese Riesen lebten in großen grauen Blöcken, mit Löchern für Fenster und Türen und sie gaben Aglai den Namen, unter dem er fortan bekannt werden sollte: Aglai.
Aglai selbst hieß – wie wir schon wissen – nicht Aglai. Allerdings erhielt er niemals die Gelegenheit, sich diesen Riesen vorzustellen. Sie sahen ihn und riefen „Aglai! Aglai!“ Und manchmal warfen sie auch Steine nach ihm.
Aglai, der ihre Sprache nicht verstand, nahm an, dass es das Wort der Riesen für Ritter war und das gefiel ihm. Und so nahm er diesen Namen an. Was ihm natürlich nicht gefiel, war dass diese Riesen Steine nach ihm warfen, doch er lernte, den Riesen aus dem Weg zu gehen. Es war natürlich bedauerlich, dass diese Riesen seine Hilfe nicht wollten, doch so war es an Aglai, sich etwas zu suchen, an dem er seine Tapferkeit beweisen konnte.
Doch Aglai, welcher ein tapferer kleiner Recke war, war nicht nur tapfer. Er hatte auch ein großes Herz. Jahre der Wanderschaft hatten Aglai gezwungen allein zu leben und nicht selten sehnte er sich des Nächtens nach der Wärme eines anderen. Jemand, der ein Freund war, eine Geliebte. Jemand, mit dem er seine Hoffnungen, Sorgen und Ängste teilen konnte.
Doch es gab in dieser Gegend niemanden, der bei ihm bleiben wollte. Es gab nur diese Riesen und ihre Rufe. „Aglai! Aglai!“
Der kleinere tapfere Katzenritter durchstreifte viele Tage dieses fremde Land, erkundete es und lernte seine Eigenheiten kennen. Ihm fiel auf, dass es in sechs quadratische Gebiete, getrennt durch erstarrte Flüsse, eingeteilt war. An einem Tag lief Aglai die ganzen sechs Quadrate entlang, erkundete wie lang er brauchen würde, um dieses Gebiet verteidigen zu können. Denn Aglai hatte geschworen, dieses Land zu beschützen. Und so wurde er zu Aglai, dem kleinen tapferen Katzenritter der sechs vom erstarrten Fluss umspülten Landen.
Es war ein seltsames Land. Die Riesen warfen Essen fort – viel und vorallem gut. Aglai fragte sich, was für ein Land dies sein musste, wenn diese Wesen so viel Essen fort warfen. Daheim in seinem Land gab es nicht so viel, manchmal gab es Hungersnöte. Es kam ihm ungerecht vor und in seinem kleinen großen Herzen machte sich Trauer breit ob dieser Ungerechtigkeit.
Doch er konnte dieses Land nicht verlassen, er musste es doch beschützen. Und so blieb er, bewachte das Land Tag ein, Tag aus. Und sann darüber nach, wie er seinem Volk daheim eine Nachricht zu kommen lassen konnte. Doch er verzagte nie. Er suchte immer nach neuen Herausforderungen, maß sich mit den größten Gefahren und erlebte große Abenteuer.
Wie an dem Tag, an dem er beinahe von einem eisernen Drachen getötet wurde, die die Riesen ritten. Doch wie durch ein Wunder konnte er dem Ansturm des Drachen ausweichen und seinem donnernden Brüllen entkommen.
Doch andere Abenteuer harrten darauf, dass Aglai sie erforschte, doch nicht allen ging der kleine tapfere Katzenritter nach. Es war eine Sache, tapfer zu sein. Doch töricht zu sein, war eine ganz andere Sache und Aglai wollte nicht töricht sein.
Und so gab es Abenteuer, die er bestritt und auch Abenteuer, wo ihm sein kleines großes tapferes Herz sagte, dass es besser wäre, nicht zu tapfer zu sein.
So vergingen viele Monde und noch viel mehr Sonnen, bis Aglai eines Tages den beiden Bärenwölfen begegnete. Er wusste, dass die Riesen sich viele komische Tiere der unterschiedlichsten Arten hielten, doch diese Bärenwölfe waren die größten und auch lautesten. Wann immer Aglai ihnen vorher begegnet war, so hatten ihre grollenden „Geh weg! Geh weg!“-Rufe davon abgehalten, ihnen zu nahe zu kommen.
Doch niemals hielt er es lange aus, fern zu bleiben. Sie sprachen seine Sprache. Sie konnten mit ihm reden. Und noch immer sehnte er sich nach Freunden in diesem fremden Land. Sollte nicht doch die Möglichkeit bestehen, mit den Bärenwölfen Freundschaft zu schließen? Die Sehnsucht nach Freundschaft in seinem kleinen großen tapferen Herzen zu stillen? Aglai musste es auf einen Versuch ankommen lassen! Er war doch ein Ritter vom Orden der vier Pfoten! Er hätte seine Eide verletzt, wenn er jetzt nicht tapfer gewesen wäre.
Und so näherte er sich tapfer den zwei Bärenwölfen, die ihn wieder mit „Geh weg! Geh weg!“ empfingen.
Der Nebel lag noch über dem Viertel und die kühle Luft strich über das mit Tau verhangene Gras. Wie jeden Morgen lief ich die Straße entlang, um meinen Kopf frei zu bekommen und mich fit zu halten. Ich lief meine übliche Runde: Die sechs Blocks entlang und dann wieder zurück. Doch heute wollte ich im Zick-Zack laufen und wechselte bei jedem Abzweig, um die Strecke zu verlängern.
Als ich gerade auf dem Rückweg war, hörte ich ein leises jämmerliches Geräusch. Ich blieb stehen, schaute mich um. An einer Ecke, hinter einer Mülltonne, lag die kleine Straßenkatze, die von allen wegen ihrem Aussehen immer nur Ugly – Hässlich – gerufen wurde.
Sie war eigentlich nicht hässlich.. irgendwann in ihrem Leben war ihr nur etwas sehr Schlimmes zugestoßen. Doch heute… heute sah sie schlimm aus. Schlimmer als sonst. Ich schaute mich um und mir wurde klar, dass dies die Straße war, in der eine Familie mit zwei großen Hunden lebte. Der kleine Kerl musste ihnen wohl in die Quere gekommen sein.
Er sah schlimm aus, voller Blut. Er konnte nicht da liegen bleiben… nicht so. Vorsichtig hob ich ihn auf…
Der Kampf war schlimm gewesen. Aglai hatte die Boshaftigkeit der Bärenwölfe unterschätzt und sie hatten ihm sehr weh getan. Mit knapper Not war er ihnen gekommen – die erste Flucht im Leben des kleinen tapferen Ritters mit dem kleinen großen Herzen. Er hatte es geschafft, sich an den erstarrten Fluss zu retten, doch dann hatte ihn die Kraft verlassen.
Er lag dort, spürte wie das Leben aus ihm tröpfelte und bereute, nicht tapferer in seinem Leben gewesen zu sein. Doch dann spürte er… er wurde aufgehoben. Und als er sein kleines goldenes Auge öffnete, sah er einen Riesen.
Doch dieser Riese rief ihm nicht „Aglai! Aglai!“ zu, warf nicht mit Steinen nach ihm. Behutsam hatte er ihn auf seine großen Hände gehoben und drückte ihn vorsichtig an sich. Aglai fühlte in seinem Herzen eine Freude, wie er sie noch nie zuvor gespürt hatte. Dieser Riese wollte ihn nicht abweisen! Er wollte sein Freund werden!
Aglai war schwach, sehr schwach. Doch in seinem Inneren jubilierte alles. Jemand in diesem fremden Land wollte sein Freund sein und wollte ihm helfen! Aglai vibrierte vor Glückseligkeit und als er den Riesen ansah, machte dieser ein komisches, vielleicht sorgenvolles Gesicht. Vorsichtig, schwach, hob der kleine tapfere Ritter den Kopf und berührte den Riesen mit seiner Nase am Kinn. Er roch komisch… und sein Fell war kurz, kratzig. Doch Aglai machte das nichts.
Der Riese schaute ihn an, verwirrt. Doch sein Mund teilte sich, die Ecken nach oben. Aglai kam es freundlich vor.
Er hatte einen Freund… der ihn an sich drückte. Und mit einem Gefühl von tiefer Glückseligkeit im kleinen großen tapferen Herzen schlief der kleine tapferen Ritter Aglai vom Pfotenorden ein.